In ihrem bisherigen künstlerischen Schaffen hat sich Helena Parada vor allem der Gattung des Porträts gewidmet, die sie im letzten Jahrzehnt – bereits während ihres Studiums – auf vielfältige Weise künstlerisch ausgelotet hat. Beispielhaft dafür stehen in der Ausstellung die beiden Werke, die „Martin“ darstellen. Martin ist einer der drei Musiker der Elektro-Musikgruppe Stabil Elite, die von der Künstlerin zweimal in einem Gruppenporträt dargestellt wurde. Die Kopfstudie „Martin“ zu dem Gruppenporträt von 2012 erscheint vom Gesamtausdruck her fast wie ein romantisches Freundschaftsbild, nicht zuletzt durch den fließenden Pinselstrich in den Gesichtszügen, der an einen Künstler wie Eugene Delacroix (1798-1863) denken lässt. Die sichtbaren Bleistiftvorzeichnungen im Bereich der Schultern sowie die malerische Andeutung des Hemdkragens erscheinen wie Verweise auf den Studiencharakter und auf das Fragmentarische des Werkes. Die Leinwand wurde von der Künstlerin braun-rötlich grundiert - mit einem sichtbaren horizontalen Pinselstrich, der das Malerische der Arbeit an sich sichtbar macht. Schaut man sich die Gemälde Paradas genauer an, so fällt häufig die farbige Grundierung in den Blick, auch wenn oder gerade weil sie monochrom gehalten ist. In der Grundierung setzt die Malerin meist dem Pigment beigemengtes Schellack oder Acryl ein und trägt diese farbige Imprimitur sehr breit horizontal oder auch vertikal auf. Hier findet sich bereits eine Anspielung auf die Struktur von Bildträgern in der ostasiatischen Malerei. In der koreanischen wie auch in der japanischen Malerei wird meist mit Leinen oder Seide als Bildträger gearbeitet, flächig-graphische Muster spielen eine wichtige Rolle.
Auch das ganzfigurige Porträt des sitzenden Martin arbeitet mit dem Fragment, so enden beispielsweise der linke Unterschenkel ebenso wie der Fuß des Drehstuhls im „Nichts“. Dieses Werk ist – von der Oberfläche her für den Betrachter sichtbar – auf Pressspan gemalt. Mit diesen beiden Werken hat man bereits zwei Charakteristika des Schaffens von Helena Parada erfasst: zum einen ist es das Fragmentarische und das Aufzeigen von Leerstellen im Bild, zum anderen findet man in vielen ihrer Werke eine Sichtbarkeit des Untergrundes und dessen Struktur. Beide Elemente verweisen den Betrachter darauf, dass das, was er gerade vor Augen hat, ein Gemälde ist, das mit Pinsel und Farbe auf einem Malgrund aufgetragen wurde. Helena Parada beherrscht die altmeisterlichen Techniken des Malens, so dass ihre Werke uns als Betrachter immer wieder aufgrund des ihnen zugrunde liegenden malerischen Könnens und ihres hohen Grades an Realismus beeindrucken.
Es ist die Erfahrung, die der Künstlerin gezeigt hat, dass Skizzenhaftigkeit gerade ein Gewinn sein kann. Wenn eine Fläche als solche stehengelassen wird, so wird der Betrachter trotz aller Illusion der gemalten Welt immer wieder auf die Leinwand, auf den Akt des Malens und auf die Zweidimensionalität des Werkes zurückgeworfen.
Wenn man sich das zeitgenössische Kunstschaffen in Deutschland anschaut, so fällt auf, dass Porträts kaum eine Rolle spielen. Das ist durchaus überraschend, da die Gattung des Porträts seit der Antike immer einen wichtigen Rang eingenommen hat. Durch die Möglichkeiten der Fotografie ist die Rolle der realistischen Malerei in den Hintergrund getreten, somit wird der Aufgabe des Porträts Neues abverlangt. Interessanterweise sind es in Deutschland eher Fotografen wie Thomas Ruff (1958), die den Blick auf den Menschen in den Vordergrund ihres Wirkens stellen. Denkt man an Maler, in deren Œuvre das Porträt eine herausragende Rolle spielt, so kommen neben den Amerikanern Alex Katz (1927) und Elizabeth Peyton (*1965), vor allem Engländer wie Francis Bacon (1909-1992) und Lucian Freund (1922-2011) in den Sinn. Sie alle sind Maler, die sich in ihrem Schaffen ganz bewusst und sichtbar von der Aufgabe der objektiven Wiedergabe des Porträtierten lösen und die malerische und künstlerische Herausforderung suchen. Das Porträt spielt – außer in England, wo es gerade auch durch die National Portrait Gallery Raum und Öffentlichkeit bekommt – in der zeitgenössischen Kunst eine stark untergeordnete Rolle. Es sind sicher einige Gründe, die gerade in der deutschen Nachkriegskunst das Genre so in den Hintergrund gedrängt haben. Einer der prägnantesten ist die radikale Abkehr vom Figurativen gewesen.
Die Entscheidung der Künstlerin, den Menschen nach der Natur, nach dem Foto darzustellen und dabei ihre meisterhafte Beherrschung der malerischen Technik zu zeigen, ist eine sehr bewusste gewesen. Bereits als Studentin und als Meisterschülerin an der Akademie in Düsseldorf wurde ihr die Außenseiterposition klar, die sie mit dem malerischen Realismus einnahm. Nicht zuletzt durch ihren Professor Peter Doig wurde sie aus der Reserve gelockt, um sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern und wodurch das malerische Porträt in Zeiten allgegenwärtiger Abbildlichkeit Bestand hat.
Es sind gerade die bereits angesprochenen Punkte der Sichtbarmachung des malerischen Schaffensprozesses wie auch die malerischen Auslassungen, die etwas für den Betrachter Faszinierendes und Geheimnisvolles in sich tragen. Dabei ist es nicht von ungefähr, dass Maler wie der Venezianer Tizian (ca. 1488-1476) oder der Spanier Diego Velázquez (1599-1660) Helena Parada in ihrem Schaffen beeinflusst haben. Beide Künstler sind herausragende Porträtisten, beiden arbeiten bewusst und – für ihre jeweilige Zeit extrem modern und ungewöhnlich – mit dem malerischen Prinzip des sichtbaren Pinselstriches, beide zeigen die Porträtierten gerne vor einem monochromen, wenn auch sichtbar gemalten Hintergrund.
Helena Parada, die bereits in jungen Jahren durch ihren aus Spanien stammenden Vater mit der Malerei seines Heimatlandes vertraut wurde, ist stark von der europäischen Maltradition beeinflusst. Seit 2013 ist es aber vor allem ihr koreanischer Erbteil, den sie zum Zentrum ihrer künstlerischen Tätigkeit gemacht hat. Ihre Werke, die sich mit der Geschichte ihrer Mutter als einer koreanischen „Gastarbeiterin“ auseinandersetzen, sind durchaus autobiographisch und loten ihren eigenen Bezug zu Korea aus. Es handelt sich bei diesem Komplex um eine Annäherung an ihre Herkunft, ihre kulturelle Identität und um die Frage, was einem vertraut und was einem fremd ist. Auch wenn Helena Parada selbst nie in Korea gelebt hat, so besitzt sie doch Heimatgefühle für alles, was sie mit Korea verbindet, sei es ihr durch die Mutter oder durch Reisen nach Korea nähergebracht worden.
Eine Annäherung an die eigene Identität ist es, wenn sie wie beispielsweise in „Su Song“, „Daniela“ und „Nina im grünen Hanbok“ die zweite Generation der Einwanderer schildert. Alle diese Porträts zeigen junge Frauen, die ebenso wie die Künstlerin als Töchter koreanischer Einwanderinnen in Deutschland aufgewachsen sind und sich im Laufe ihres Erwachsenwerdens und der damit verbundenen Identitätsfindung mit ihrem koreanischen Erbe auseinandergesetzt haben. Die jungen Frauen tragen dabei die Hanboks – das traditionelle koreanische Gewand – ihrer Mütter. Die Hanboks mögen ihnen, die mit westlicher Kleidung aufgewachsen sind, einerseits wie eine Verkleidung vorkommen, andererseits aber durch die Besonderheit des Stoffes und der Farben auch eine Brücke schlagen zu ihren Vorfahren.
Peter Doig ermunterte die Künstlerin, in den Porträts Gesichter wegzulassen, das Bild eines Menschen nicht durch das Abbild, sondern auch durch andere Formen auszudrücken. Diesen Weg ist Parada in der Serie der „Hanboks“ gegangen, die sie als „indirekte Porträts“ liest. Jedes Kleidungsstück, sei es Alltagskleidung oder wie im Hanbok ein besonders festliches und herausgehobenes Kleid, erzählt auch immer etwas über den Besitzer. Es ist das Ziel der Künstlerin, aus den Malereien, die in allen Fällen lediglich das Kleidungsstück des Hanbok und wenige Attribute darstellen, eine Serie zu entwickeln, die dokumentarischen Charakter besitzt. „Hanbok.Komposition“ von 2006 ist das Werk der Künstlerin, das zeigt, wie sie sich diesem Themenkomplex angenähert hat. So hängen neben und zwischen den Hanboks ein weißer Ärzte- oder Schwesternkittel und eine farbbefleckte Hose, die den Betrachter auf die Profession des Malers/der Malerin verweist. Der Hanbok gibt die Herkunft und die Zugehörigkeit preis, während die Jeans und der Kittel auf die Tätigkeit der „indirekt Porträtierten“ verweisen. Dabei ist es typisch für Paradas Œuvre, dass eigentlich jede Arbeit der Serie eine Besonderheit, eine Eigentümlichkeit aufweist, die sie zugleich aus der Reihe heraushebt. Bei „Frau und Herr Heil“ wird erst beim genauen Hinsehen durch sichtbaren Vorzeichnungen verständlich, dass es sich bei dem Kleidungsstück auf der linken Seite nicht um eine Jacke, sondern eigentlich um einen Hanbok handelt. Die mit Bleistift gezeichneten Umrisslinien verweisen auf den Hanbok, der von der Künstlerin malerisch mit klarem Abschluss als Fragment gehalten wurde. Erst wenn man die Vorzeichnungen sieht, versteht man also den Verweis auf das Ganze. „Seung-Za“ wiederum ist das Porträt einer sitzenden Frau im Hanbok, ohne dabei überhaupt ein klassisches Porträt zu sein. Hier ist der Mensch selbst nicht mehr zu sehen, sondern nur der Teil des Körpers abgezeichnet, der unter dem Hanbok liegt. Dieses Kunstwerk ist eine offensichtliche Weiterentwicklung von der Darstellung der an einem Haken auf einem Kleiderbügel hängenden Hanboks über diejenigen, die wie an der Wand zu schweben scheinen.
Oft nähert sich Parada ihrem koreanischen Erbe durch die Darstellung von Verwandten aus der Familie ihrer Mutter. Dabei spielen die Porträts der Joseon-Dynastie (1392-1897) eine wichtige Rolle in Paradas Bildgedächtnis. Diese Porträts haben über viele Jahrhunderte die Elite und die gebildeten Kreise Koreas dargestellt. Sie folgen einem tradierten Bildkanon: der Künstler legt einen flächigen Hintergrund an, meist wird Seide als Bildträger verwendet. Dabei tritt der Porträtierte ohne jedes Attribut oder eine vom Bildnis ablenkende Raumwirkung in den Vordergrund. Zugleich setzt Parada diese Arbeiten aber auch in den Kontext der europäischen Kunstgeschichte, so dass ganz eigene, faszinierende Neuschöpfungen entstehen.
Giovanni Battista Moronis „Der Schneider“ von 1570 (National Gallery, London) ist beispielsweise ein Gemälde, das die Künstlerin sehr schätzt. Indem Moroni nicht nur den Schneider mit der linken Hand den vor ihm auf dem Tisch liegenden schwarzen Stoff fühlen lässt, sondern sich durch den monochromen Hintergrund auch ganz auf die Darstellung der Kleidung des Schneiders konzentriert, stellt er – neben der selbstbewussten Direktheit, mit der der Schneider den Betrachter ins Auge fasst – die malerische Vermittlung stofflicher Eigenschaften in den Vordergrund.
Ähnlich gelagert ist der Ansatz, mit dem Helena Parada die beiden großformatigen Werke von „Chong-Za. Von Schwarz zu Blau“ und „Ho-Za. Rot und Weiß“ aufbaut. So stellt sie in „Chong-Za. Von Schwarz zu Blau“ ihre nachdenklich erscheinende Tante ganzfigurig im blau-schimmernden Hanbok, auf einem einfachen Dielenboden stehend, in den Mittelpunkt des hochformatigen Gemäldes. Der Hintergrund ist schwarz. Schaut man genau hin, so sieht man, dass sich auf dem schwarzen Hintergrund Falten abzeichnen und es sich somit über einen locker hängenden Stoff handeln muss. Die Blätter wiederum, die von rechts oben in das Bild kommen, scheinen nicht den Falten des schwarzen Stoffes zu folgen und somit nicht in den Stoff eingewebt, sondern „reale“ Blätter zu sein. Diesen stehen die Blumen im Hanbok entgegen, die Teil des Stoffes sind. Aber auch wenn Chong-Za wie der Schneider bei Moroni den Stoff mit ihrer linken Hand fühlt, so sind all diese Stofflichkeiten lediglich Teil des Gemäldes, Malerei auf Leinwand. Nimmt man die Blumen in „Ho-Za. Rot und Weiß“, dem Bildnis der Mutter der Künstlerin in den Blick, so wird die Verwandtschaft der beiden Werke offensichtlich. Hier werden die Blüten und Blütenblätter auf dem roten Hanbok den zarten Knospen und Blüten des den Hintergrund dominierenden Paravent gegenübergestellt und es ist der japanische Paravent, der das Bild im Bild imitiert. Gerade auch die ganz auf sich bezogene, meditativ erscheinende Haltung gibt dem Betrachter das Gefühl einer intimen, von ostasiatischen Motiven bestimmten Szene, die zugleich in einem repräsentativen Format wiedergegeben wird. Hier ist eine enge Verbindung der Werke zu den Künstlern des 19. Jahrhunderts ablesbar, deren Schaffen vom „Japonismus“, dem Einfluss der ostasiatischen Formensprache, geprägt war. James Abbott McNeill Whistlers Gemälde „Rose and Silver: The Princess from the Land of Porcelain“ (Freer Gallery of Art, Washington, D.C.; 1863-65) ist in seinem Spiel mit den verschiedenen Stofflichkeiten und Darstellungen der Blüten in Paravent, Kleiderstoff und Fächer ein extrem augenfälliges Beispiel für das Spiel mit den Wirklichkeitsebenen, das auch die beiden Frauenporträts Helena Paradas Schaffen bestimmt.
Die meisten der in Frankfurt ausgestellten Werke besitzen einen persönlichen emotionalen Charakter für die Künstlerin, da sie durchgängig ihr eigenes Verhältnis zu koreanischen Riten und Traditionen aufgreifen. Am unmittelbarsten ist dies möglicherweise an den Begräbnisszenen ablesbar. Hier arbeitet die Künstlerin mit Bildvorlagen aus dem Fotoalbum ihrer Mutter. Es sind – und das verbindet das künstlerische Vorgehen Paradas mit dem von Peter Doig – nicht nur eigene Fotos, sondern gerade auch alte, vorgefundene Fotos, die die visuelle und formelle Grundlage ihrer Gemälde bilden. Es muss sich bei den diesen Werken zugrunde liegenden Fotos in der Wahrnehmung des westlichen Betrachters um eigenartige Aufnahmen archaisch und dokumentarisch erscheinender Szenen handeln. Ähnlich würde es aber vermutlich auch Koreanern heute gehen, denn Szenen, wie sie von Parada hier aufgegriffen werden, sind kaum noch zu sehen, da viele rituelle Handlungen vereinfacht und dem modernen Alltag angepasst worden sind.
In Korea herrscht der Ahnenkult des Konfuzianismus vor. Die Nachkommen stehen in der Schuld der verstorbenen Vorfahren, die sehr präsent sind und historisch in zahlreichen Begräbnisritualen und Zeremonien geehrt wurden. Bei diesen Begräbniszeremonien wurden von den Nachkommen weiße Hanfkostüme und weiße, bei den Männern hoch aufragende Kopfbedeckungen getragen, da weiß die Farbe der Trauer ist. In dieser Serie arbeitet Parada mit Öl auf Papier, das in der sichtbaren Grundierung durch die horizontale und vertikale Führung des Pinselstriches fast wie eine strukturierte Leinwand erscheint. Alle diese Arbeiten sind stark skizzenhaft gehalten, gegen einen oft grau-braunen Himmel werden die verschiedenen Figuren wie Geister mit Weiß herausgearbeitet. So koreanisch die den Werken zugrunde liegenden Szenen sind, so sichtbar kommt in der Malweise das spanische Erbe der Künstlerin zutage. Die Farbtöne, das stark Skizzenhafte, aber auch das Herausarbeiten der Figuren aus der Umgebung erinnern an das Werk Francisco de Goyas (1746-1828). Auch hier zeigt sich Helena Parada wieder als Künstlerin, die in der Zusammenführung ihrer Annäherung an das koreanische Erbteil und ihrer intensiven malerischen Auseinandersetzung mit der europäischen Kunstgeschichte ganz eigene, malerisch starke und inhaltlich tragende Werke schafft.
Die kleinformatigen Arbeiten mit dem Bildnis des Urgroßvaters aufgrund ihres fragmentarischen Charakters als Studien zu bezeichnen, wäre nicht der angemessene Begriff, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint. Alle Bildnisse wirken wie Negative, in denen Parada in altmeisterlichem Spiel mit Schatten und Höhung die verschiedenen Möglichkeiten der Darstellung aus dem Dunklen ins Helle herausarbeitet. In zwei der Arbeiten beispielsweise wurde der den Körper umgebende Raum gefirnisst, der somit weniger opak und matter erscheint. Diese Bildnisse sind also vielfältige Annäherungen an eine Vorlage und ein wahr gewordenes Beispiel für die Intention der Künstlerin, „dass sie fast jedes Bild noch einmal malen wolle, um die verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten sichtbar zu machen“.