Meine Bilder finde ich in den Köpfen

Ein Gespräch mit der Malerin Helena Parada-Kim

- Peter Eickhoff -

Helena Parada Kim wurde 1982 in Köln als Tochter einer koreanischen Mutter und eines spanischen Vaters geboren.
Sie besuchte dort die koreanische Schule und die Kölner Domsingschule. Nach dem Abitur studierte sie an der Düsseldorfer Kunstakademie Malerei. Im Jahr 2009 machte sie ihren Akademiebrief als Meisterschülerin des international bekannten britischen Malers Peter Doig. Sie lebt wechselweise in Berlin und Düsseldorf.

Wann begann deine Malerei?

Mein erstes Bild malte ich mit fünf oder sechs. Also das erste, an das ich mich erinnern kann. Es war ein Bild des Kölner Doms, mit zwei sehr großen Figuren davor, die mein Vater und meine Mutter sein sollten. Mein Vater trägt eine Krone und meine Mutter einen Hanbok, die traditionelle Tracht aus Korea. Aber meine Malerei begann vermutlich an dem Tag, als meine Mutter Korea verließ.

Das war schon 1965…

Meine Mutter war damals 18 Jahre alt, und gemeinsam mit ihrer Schwester verließ sie Busan, um in Deutschland als Krankenschwester zu arbeiten. Für die beiden Schwestern und ihre Familie war das eine existentielle Erfahrung. Es war Abschied und Ende, in gewisser Weise ein Abschied für immer, was damals natürlich niemand wissen konnte. Aber es gab die Ahnung und vielleicht auch die Befürchtung, dass man sich so schnell nicht wiedersehen würde. Tatsächlich starb meinGroßvater in dieser Zeit, und als meine Mutter nach 7 Jahren wieder nach Busan kam, hat sie ihre Mutter, die einfach durch die Zeit hindurch weggealtert war, nicht mehr wiedererkannt.

Vor der Abreise 1965 wurde ein für dich sehr wichtiges Foto in Busan gemacht.

Vor dieser Abreise aus Busan gingen meine Mutter und ihre vier Schwestern noch ein letztes Mal in ihren Hanboks in ein Atelier, um sich fotografieren zu lassen. Es ist ein sehr ernstes Erinnerungsbild geworden, und rückblickend ist diese Fotografie der Ausgangspunkt meiner koreanischen Malerei, also der Bilder, die direkt auf Korea und die Heimat meiner Mutter Bezug nehmen. Hinter diesem Foto stecken eine ganze
Menge anderer Bilder, die natürlich nie fotografiert wurden und bisher auch noch nicht oder nur in Teilen von mir gemalt worden sind. Es sind die Bilder, die man nicht in unseren Familienalben findet, aber in den Köpfen der Familie, in den Erzählungen und Erinnerungen. Die nicht immer schön waren…

Weil die Zeit schlecht war…

Die Zeit und auch die ganz persönlichen Erfahrungen. Meine Großeltern lebten mit ihren Kindern während des Krieges in Japan. Das war eine sehr schlechte Zeit, voller Demütigungen, Armut und auch der Ahnung eines ständig drohenden Identitätsverlustes. Als Koreaner musste man sich verleugnen. Man war aus der eigenen Welt gefallen. Und diese Welt ist ja auch, wie wir heute wissen, weitestgehend zerstört und durch eine andere ersetzt worden. Es war aber nicht nur der Verlust der eigenen Tradition und den damit verbundenen Identitäten. Es war auch der Verlust einer öffentlichen und kulturell bestimmten Geborgenheit, die eine intakte Gesellschaft für gewöhnlich gibt. Geborgenheit gab es im Exil aber nur in der Familie. Noch heute leben meine Mutter und ihre Schwestern davon, so als sei ihre Mutter nie gestorben. Das ist wirklich eigenartig: Obwohl sie früh erwachsen sein mussten, vor allem meine Tante, die für die ganze Familie sorgte und sich dabei fast ruiniert hätte, haben sie sich diese irritierende Kindlichkeit bewahrt, eine verspätete und überraschende Naivität, die sie vermutlich erst in Deutschland und in einem späteren Alter entwickeln konnten. Als junge Mädchen hatten sie die vermutlich nicht. Ich habe in einer Reihe von Studien und Bildern diese Erlebnisse aufzunehmen versucht. Es sind Geschichten, die aus diesen sehr konkreten und plastischen Erinnerungen entstanden. Sie drehen sich oft um Kleidung, die falsche Kleidung vor allem, also um den falschen Schutz, und um das Essen, das oft nicht vorhanden war, und das Essen ist ja gerade in Korea eine Metapher für alles Gute, für alles Verbindende und für das, was das Leben selbst unter unglücklichen Vorzeichen lebenswert macht. Eines deiner Bilder trägt den Titel »Das Ende der großen Erzählung«. Eigentlich ist es der Anfang einer großen Erzählung. Wenn ich selbst in Korea bin, sehe ich diese Bilder plötzlich, und ich höre die alte Welt meiner Mutter und Großmutter, ein bisschen so wie man Wellen hört, die über den Strand laufen und Spuren im Sand hinterlassen. Du siehst dich aber in erster Linie als Portraitmalerin und nicht als Geschichtenerzählerin. Ja, das hat einerseits mit meinen sehr persönlichen Interessen am traditionellen europäischen Portrait zu tun. Mich haben Maler wie van Dyck, Rembrandt und Velázquez schon als Kind fasziniert, später David Hockney und auch Alex Katz. Andererseits verstehe ich das Portrait heute in einer komplexeren und nicht so sehr gesichtsfixierten Bedeutung. Ich kann, um ein Beispiel zu geben, auch jemanden portraitieren, ohne ihn direkt abzubilden. Die Hanboks, die ich gegenwärtig in einer größer angelegten Serie male, sind indirekte Portraits ihrer Trägerinnen. Die Trägerinnen sieht man aber nicht. Dennoch ist es eine Reminiszenz an deren eigene Identität, an die Aura und Würde dieser Frauen, eine Hommage an die koreanischen Frauen, die sich trotz ihrer Reisen in die Welt nie aufgegeben haben.

Eines deiner Lieblingsbilder ist das von dir oft variierte Bild »Vier Schwestern im Park«. Was hat es damit auf sich?

Ich muss vielleicht erst einmal drauf hinweisen, dass im Deutschen der Begriff »Schwester« sowohl für ein verwandtschaftliches Verhältnis gebraucht wird, aber auch als Kurzform für Krankenschwester. Die vier Schwestern im Park könnten also auch Schwestern in einem familiären Sinn sein. Aber auf dem Bild sind sie eindeutig als Krankenschwestern zu erkennen. Ihre körperliche Nähe ist nun wieder die von Schwestern, die zu einer Familie gehören. Und das ist ganz typisch für diese Zeit, als meine Mutter und meine Tante nach Deutschland kamen. Sie fanden sich in diesem Doppelsinn wieder, in dieser doppelten Nähe, aus der später auch ihre eigenen Familien entstanden. Mein Vater war Krankenpfleger in den Riehler Heimstätten in Köln, in denen mein Bruder und ich aufwuchsen. Ich möchte meine Bilder nicht selbst interpretieren, aber die Schwestern gehen durch einen Park und nicht durch eine verwilderte Landschaft. Sie sind dort im Licht, und die Schatten, die sie zuvor umgeben haben – die Schatten ganz anderer Bilder – verschwinden.

Ist es dir wichtig, dass Koreanerinnen, die deine Bilder betrachten, das auch so sehen?

Mir gefallen grundsätzlich alle Sichtweisen, die meinen Bildern entgegengebracht werden. Ich finde das immer sehr spannend.Es gibt nicht nur meine Augen, mit denen ich das Bild gemalt habe. Aber es ist immer etwas Besonderes, wenn es einen Wiedererkennungseffekt gibt, eine unmittelbare Identifikation, ein gemeinsames Erlebnis des Betrachtens. Dann fühle ich mich als Malerin natürlich verstanden und denke, dass die Recherchen, die ich in meinem und in den Köpfen der anderen betreibe, erfolgreich waren. Es ist ein bisschen wie bei meinem Lieblingsschriftsteller Marcel Proust: Man sucht die verlorene Zeit und wenn man sie wiederfindet, schwebt man zumindest für einen Moment über die Gedanken und Gefühle hinweg wie auf einer Wolke und könnte vor Glück den Himmel berühren.

Dein Vater taucht in diesen Bildern nicht auf.

In diesen nicht. Aber er ist in vielen doch anwesend. Als Spanier wuchs er in einer sehr traditionell geprägten katholischen Familie auf, in der sich das Abendland wie in einem großen Sittengemälde fokussiert. Meine Vorfahren waren Stierzüchter, mein Vater war mal Mönch, einer seiner Brüder ist ein bekannter Kommentator, der für große Zeitungen schreibt. Es gab einen Onkel, der ein bekannter Komponist von Zarzuelas war und meine Großmutter war eine dieser etwas opulenten spanischen Señoras, wie man sie aus alten Filmen kennt. Mein Vater hat mir wie kein anderer diese sehr klassische europäische Welt vermittelt, ihre Schönheiten, ihre Werte und auch ihre Merkwürdigkeiten. Meine frühkindliche Liebe zur Malerei habe ich meinem Vater zu verdanken, der mit mir durch Museen ging und selbst ein großartiger Zeichner von Pferden ist. Auch wenn man ihn also nicht sieht: Er steckt in allen Bildern irgendwie drin!