Die Gesandten

Porträts

- Prof.Dr. Guido Reuter -

Helena Paradas Gemälde, die hier im Kunstverein Recklinghausen ausgestellt sind, sind in überwiegender Anzahl – bis auf wenige Ausnahmen – Bilder, die zur Gattung des Portraits zu zählen sind, wie es auch der Ausstellungsuntertitel ankündigt. Der Realismus vieler dieser Gemälde zieht den Betrachter schnell in einen Bann, der ihn erst einmal vergessen lässt, dass es bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Photographie war, die aufgrund ihrer spezifischen Abbildlichkeit rasch an Popularität gewann und der Malerei die Gattung des Portraits als eine bis dahin angestammte Domäne entriss. Auch die Kunstgeschichtsschreibung trug nicht unwesentlich ihren Anteil dazu bei, dass die um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebenden Malerstars wie James Tissot oder Franz Xaver Winterhalter, deren Fachgebiet das Portrait war und die in ihrer Zeit zu den bestbezahlten Künstlern zählten, heute in Vergessenheit geraten sind. Da das Portrait, das jahrhundertelang hinter dem Historienbild den zweithöchsten Rang innerhalb der Malerei für sich beanspruchen konnte, weitestgehend als Aufgabe von der Malerei auf die Photographie übergegangen war und damit die Tradition des Portraits in der Malerei an ihr vermeintliches Ende gelangt war – zu letzterem trug natürlich auch der Paradigmenwechsel eines mimetischen Bildverständnisses hin zu einem eigengesetzlich-konstruktiven Bildverständnis bei –, spielte die Kunst des gemalten Portraits für eine Kunstgeschichtsschreibung, die das 19. Jahrhundert in den Avantgarden des 20. Jahrhunderts münden sieht, zwangläufig keine Rolle mehr. Auch wenn diese eindimensionale und historisch problematische Auffassung heutzutage von Teilen der Wissenschaft revidiert wird, hat sie immer noch ihren Einfluss auf unser Kunstgeschichtsverständnis und unserer Betrachtung von Kunstwerken. Konnte das Portrait trotz alledem in der Malerei der 10er und 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch einmal unter neuen Vorzeichen revitalisiert werden, indem beispielsweise im Kubismus die Grenzen der Abbildlichkeit und die Eigengesetzlichkeit der Bildmittel zusammen ausgelotet oder die psychologisierenden und/oder karikaturhaft übersteigernden Möglichkeiten der Malerei für das Portrait fruchtbar gemacht wurden, so spielt die Portraitmalerei in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wenn überhaupt, dann nur noch eine sehr randständige Rolle. Eine Ausnahme bildet lediglich die englische Kunst, in der die Institution einer National Portrait Gallery und die Existenz bedeutender Kunstpreise für Portaitkünstler bis heute für eine lebendige Tradition spricht.

Erinnert man all dies angesichts der Werke von Helena Parada, dann wird deutlich, dass die junge Malerin kein grade kleines Wagnis in ihren Bildern eingeht. Schnell könnte man ihr Tun als anachronistisch, als unzeitgemäß abtun. Zudem führt die Nichtexistenz einer Tradition der Portraitmalerei in der deutschen Kunst spätestens ab den 40er Jahren des 20. bis zum frühen 21. Jahrhundert dazu, dass man den Werken als Betrachter keinen Ort zuweisen kann, von dem aus man das Schaffen Helena Paradas sicher bewerten und einordnen kann.
Vielleicht aber ist es genau das, was die Bilder Helena Paradas ausgesprochen modern macht, dass Sie sich nicht den Kunstströmungen wie Pop Art, Minimal, Konzept Art oder Expressionismus unterwirft, die bis heute der Masse junger Kunst als Grundlage dienen, deren Werke aufgrund einer damit einhergehenden Überreizung und Übersättigung ihren Modernitätsstatus wohlmöglich schon längst eingebüßt haben, was in den Köpfen vieler nur noch nicht angekommen ist.
Helena Parada
arbeitet mit ihren Werken an der Wiederbelebung einer Tradition und sie tut dies auf eine ungemein kluge und gebildete und sinnlich reizvolle Weise. Als Folie ihrer Arbeiten aus den Jahren 2008 und 2009 dient ihr dabei die Geschichte der Kunst. Diese wird in den Bildern auf unterschiedliche Weise eingesetzt: als Bild im Bild („St. Georg“) oder als interbildlicher Verweis oder Referenz („Die Gesandten“, „Katrin in der Roten Laterne“). In „St. Georg“ beispielsweise führt der Kampf des Heiligen Georg mit dem Drachen als Bild im Bild dazu, dass wir als Betrachter – sicherlich auch etwas augenzwinkernd – die moderne ‘Jungfrau’ vor Augen geführt bekommen. Das zitierte Bild im Bild ist nicht nur Hintergrund, sondern trägt als wesentlicher Kommentar zum Gehalt des Bildes bei.
Mit ihrem Bild „Die Gesandten“, das der Ausstellung zugleich den Titel verleiht, bezieht Helena Parada sich auf ein Gemälde Hans Holbein des Jüngeren von 1533. Holbeins Bild ist ein frühes Freundschaftsbild, das mittels der Bildgegenstände die beiden dargestellten Männer über die Abbildung ihrer Personen hinaus charakterisiert und deren Tätigkeiten in einen geschichtlichen, religiösen und politischen Kontext verortet. Der Betrachter von Helena Paradas Adaption des Holbeinschen Gemäldes muss dies nicht zwingend wissen, um ein Verständnis für „Die Gesandten“ des Jahres 2009 (08) zu entwickeln. Paradas Gemälde funktioniert auch ohne das Wissen um diesen interbildlichen Bezug und die damit auf bzw. unter der Oberfläche verborgen liegende zusätzliche Bedeutungsebene – dies ist eine große Qualität des Bildes (und nicht nur dieses Bildes, sondern all derer, in denen sich Parada auf die Geschichte der Kunst bezieht, in denen der Betrachter auch ohne das Wissen um diese Hintergründe Erfahrungen erlangt). Gelangt man als Betrachter darüber hinaus – geleitet von Helena Paradas Bildstrategien – einen Schritt weiter in ihre Gemälde hinein, dann entwickeln sich diese zu kleinen Schatztruhen.
Für all dies kann man Helena Paradas noch recht junges Œuvre bereits zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr schätzen.